Drei Wochen nach der Wahl in Berlin verhandeln SPD, Grüne und Linke über eine neue Koalition. In der Frage der „Enteignung“ großer Wohnungskonzerne sind sich alle schon einig: Eine Expertenkommission soll prüfen, ob es juristisch und praktisch machbar ist. Die Volksentscheid-Initiative regt das auf.
Parallel zur Wahl des Abgeordnetenhauses hatte am 26. September die Mehrheit (57,6 Prozent) der Berliner in einem Volksentscheid der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ für die Vergesellschaftung privater Wohnungskonzerne gestimmt.
Rechtlich bindend ist das Votum nicht für die Politik. Ein neuer Senat ist laut Beschlusstext lediglich dazu aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten“, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten. Dabei geht es um Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin, soweit sie eine „Gewinnerzielungsabsicht“ verfolgen. Die sollen vergesellschaftet, also gegen Entschädigung enteignet und in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden.
Die Aussichten, dass ein Enteignungsgesetz zustande kommt, seien unwahrscheinlich, meint Dr. Esfandiar Khorrami, Rechtsanwalt und Partner bei Bottermann Khorrami. „Das Gesetz müsste handwerklich sehr sauber gearbeitet werden, um vor Gericht Bestand haben zu können.“
Juristisches Neuland: Thema „Enteignung“ wird zur Expertensache
SPD, Grüne und Linke haben am 15. Oktober ihre Sondierungsgespräche für die Regierungsbildung in Berlin abgeschlossen. Über den Rahmen einer neuen Koalition will das Bündnis in den kommenden Tagen verhandeln. Grundlage ist ein Papier mit 19 Leitlinien für die künftige Zusammenarbeit – auch in Sachen Wohnungspolitik. Unter anderem soll der Wohnungsneubau in Berlin „mit höchster Priorität“ vorangebracht werden, hieß es, das Ziel seien 20.000 neue Wohnungen pro Jahr. An einem Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen sollen sich städtische Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und private Wohnungsunternehmen beteiligen.
Zum erfolgreichen Volksentscheid wurde vereinbart, eine Expertenkommission einzusetzen, die innerhalb eines Jahres Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Umsetzung prüfen soll. „Es ist ja juristisches Neuland, was da betreten wird“, sagte der Berliner Kultursenator und Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer im RBB-Inforadio. „Das heißt, es muss jetzt genauer ausgearbeitet werden, wie das juristisch und praktisch funktionieren kann.“
Die Enteignungs-Initiative reagierte genervt: Man wolle „durchschaubare Verzögerungstaktiken nicht hinnehmen“. In einer Demokratie sei es geboten, den Willen der Bevölkerung zu respektieren. „Und das heißt in dem Fall: jetzt wird vergesellschaftet!“, so die Aktivisten. Sie fordern nun, dass die Erarbeitung eines Vergesellschaftungsgesetzes im Koalitionsvertrag festgehalten wird.
Jurist: Berliner Verfassung erlaubt keine Vergesellschaftung
Die Linken im Berliner Abgeordnetenhaus hatten auf ihrer Fraktionsklausur Anfang März 2021 einen Debatten-Entwurf für ein „Gesetz zur Überführung von Grund und Boden von Wohnungsunternehmen in Gemeineigentum“ vorgestellt, der dem künftigen Senat als Vorschlag dienen soll.
Im Mai legte dann „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ einen eigenen
Entwurf für ein „Gesetz zur Überführung von Wohnimmobilien in Gemeineigentum (Vergesellschaftungsgesetz –VergG)“, der dem Berliner Senat die Möglichkeit eröffnen soll, „direkt mit der Umsetzung starten“ zu können, hieß es.
Die Initiative beruft sich in dem Entwurf auf Artikel 15 Grundgesetz (GG), demzufolge „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ in Gemeineigentum überführt werden können. Vergesellschaftet werden sollen nicht die Unternehmen selbst, sondern deren zu Wohnzwecken dienende Grundstücke und Gebäude. Neue Eigentümerin der Immobilien soll eine Anstalt des öffentlichen Rechts („Gemeingut Wohnen“) werden und die Wohnungsbestände dürften nie wieder privatisiert werden. Landeseigene, gemeinnützige Unternehmen und die Genossenschaften sollen von den Regelungen ausgenommen sein, wie der Jurist Sebastian Schneider erklärte, der den Gesetzentwurf maßgeblich erarbeitet hat.
Wie Benedikt Wolfers, Rechtsanwalt und Partner der Berliner Kanzlei Posser Spieth Wolfers & Partners, in einem
Gastbeitrag im Berliner „Tagesspiegel“ schreibt, wird das Vorhaben jedoch schon an der Landesverfassung scheitern, die eine Vergesellschaftung gar nicht erlaube.
Streitpunkt Entschädigung: „Enteignung“ würde Berlin Milliarden kosten
Betroffen von einer Vergesellschaftung wären zirka ein Dutzend Berliner Unternehmen mit insgesamt mehr als 240.000 Mietwohnungen. Allein der börsennotierte Konzern Deutsche Wohnen, auf den es die Initiative besonders abgesehen hat und der kurz vor der Übernahme durch den Konkurrenten Vonovia steht, verfügt über einen Bestand von etwa 116.000 Wohnungen im Raum Berlin.
Nach einer Schätzung des alten Senats würde die Entschädigung das ohnehin schon hoch verschuldete Berlin zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro kosten. „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ rechnet mit einer Gesamtsumme von rund zehn Milliarden Euro.
Die Aktivisten wollen die Immobilienunternehmen nicht mit Geld entschädigen, sondern ihnen sogenannte Entschädigungsbonds – Wertpapiere mit dem Nominalwert der Entschädigungshöhe – ausgeben. Die Schuldverschreibungen sollen über einen Zeitraum von 40 Jahren getilgt werden. Refinanziert werden soll das Ganze aus den Mieteinnahmen. Dabei legt die Initiative eine vergleichsweise niedrige Nettokaltmiete von 4,04 Euro pro Quadratmeter zugrunde, die auch für armutsgefährdete Haushalte als leistbar gilt.
„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“: Der Weg zum Volksentscheid
Die Berliner Bürger waren dem Bündnis „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ von Anfang an mehrheitlich gut gewogen. Da bis zum 25.6.2021 – innerhalb der vorgegebenen Frist seit dem Startschuss zur zweiten Phase des Volksbegehrens am 26.2.2021 – ausreichend (sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus wahlberechtigten) Berliner eine gültige Stimme abgegeben hatten, kam es überhaupt erst zum Volksentscheid, der schließlich am 26.9.2021 wie eine Wahl ablief.
Der bisherige rot-rot-grüne Berliner Senat unterstützte in einer Stellungnahme vom 20.7.2021 zwar grundsätzlich das Anliegen der Initiatoren, den Anteil gemeinwohlorientierter Wohnungseigentümer zu erhöhen, verwies aber auch darauf, dass eine Umsetzung der Ziele des Volksentscheids nur durch ein politisch und juristisch umstrittenes Vergesellschaftungsgesetz erreicht werden könne.
Die Linke hat das Anliegen der Initiative von Anfang an unterstützt und sogar Unterschriften mitgesammelt. Mehr als 32.000 kamen dabei zusammen. Die SPD, mit Ausnahme der Jusos, sprach sich stets gegen eine Vergesellschaftung aus – ebenso wie Teile der Grünen und die Oppositionsparteien.
Die Wohnungswirtschaft warnte immer wieder, dass schon allein die Debatte über Enteignungen Investoren abschrecke. Das Instrument sei zur Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt „völlig ungeeignet“, hieß es vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU): Dringend nötig sei mehr – auch geförderter – Wohnungsbau. Deutsche Wohnen-Vorstandschef Michael Zahn sprach vom „Versuch einer unrechtmäßigen Enteignung“.
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dpa
Quelle: Haufe