Corona hat die Wohnungsnot in Berlin nicht kleiner gemacht. 17 Räumungsklagen gibt es an jedem Tag. Heißt es im neuen Berliner „Tatort“. Er versammelt um die Leiche eines Immobilienhais ein halbes Dutzend von Obdachlosigkeit bedrohter Verdächtiger. Die Kommissare sind auf ihrer Seite.
Einer der Gründe, warum es jedem leicht gemacht wird, den Kapitalismus wenigstens einmal im Monat herzlich zu hassen, ist die Geschmeidigkeit, mit der er zynische Wortschöpfungen generiert.
Da sitzt zum Beispiel diese Oma da auf ihrem Sofa in ihrer Wohnung. Die ist ihre Geschichte, die Wohnung, die ist ihr Leben, ihr Schutz, ihre dritte Haut. Eine junge Frau misst derweil die Wohnung aus, ihr gehört das Haus seit noch nicht langer Zeit, eigentlich misst sie das Leben aus, das weiß sie aber nicht.
Die Wohnung soll saniert werden, wir sind in Berlin. Die Oma muss raus. Sie ist, sagt die junge Frau fast entschuldigend, ein „Verwertungshemmnis“.
Es ist noch nicht lange her, jetzt müssen wir mal schnell zum „Tatort“ kommen, der diese Geschichte verhandelt, da lag Cem, der junge Bruder der jungen Immobilienbesitzerin tot vor dem Haus.
„Die dritte Haut“ heißt der „Tatort“, Kathrin Brühl hat ihn geschrieben, Norbert ter Hall hat ihn inszeniert. Von selbst dahin gefallen, konnte er schwerlich sein.
Motive zum Mord hat ein ganzer Kiez. Die Alleinerziehende, der Mietrebell, die Familie, die Oma, all die Verwertunghemmnisse, die Ceylan mittels mehr oder weniger warmer Entmietung in die Notunterkünfte treibt.
17 Räumungsklagen gibt es allein in Berlin jeden Tag, heißt es in „Die dritte Haut“. Ein paar von ihnen, die es wirklich gibt, gibt dieser „Tatort“ ein Gesicht. Bilder werden gezeigt, Fälle skizziert. Dass es nahezu ausschließlich Mittelständler sind, die da abrutschen in die Obdachlosigkeit, ist zwar nicht unbedingt realistisch, erhöht aber den Erschütterungsdruck auf die potentiell mittelständische „Tatort“-Klientel. Was man da sieht, kann letztlich jedem geschehen.
In dieser aus den Fugen geratenen Wohnwelt, deren Risse durch Corona nicht kleiner geworden sind, irrlichtern Meret Becker und Mark Waschke als Kommissare Rubin und Karow sich kalt kampfbereit liebend herum. Auch sie sind bedroht, auch aus ihrer Wohnung wird Eigentum, dass sie sich nicht leisten können.
Gegen das wahre Virus hilft keine Maske
Manche tragen Maske, manche nicht. Egal. Gegen das eigentliche Virus, das Berlin, Deutschland, die Welt bedroht, hilft sowieso keine Hygienemaßnahme. Das hat man relativ bald begriffen.
Als Kriminalfilm geht das so. Als Sozialdrama geht es eher nicht. Wäre gern Ken Loach, ist nur „Tatort“. Man nimmt trotzdem was mit. Eine Ahnung vom Elend, das angerichtet wird. Und den Satz: „In den meisten Fällen ist die Todesursache eines Menschen sein Leben.“
Quelle: Welt